Als Aufarbeitung der Biersortenbeschreibung der Style Guidelines des U.S. amerikanischen Beer Judges Certification Program wird hier eine Reihe von Vorschlägen präsentiert, wie sich die deutschen Biersorten möglicherweise weiterentwickeln könnten.
Bei genauerem Durchlesen der Biersortenbeschreibungen erfährt man ein wenig über die Entwicklung der deutschen Biersorten und kann auch möglicherweise nachvollziehen, warum die deutschen Sorten sich heutzutage so präsentieren.
Eine kleine historische Aufarbeitung der deutschen Biersortenentwicklung
Deutschland ist heutzutage ein fast vollständig untergärig geprägtes Land. Während sich mit Weizenbier, Alt und Kölsch mehr oder minder starke (obergärige) „Inseln“ im Geschmacksmeer der Verbraucher halten, so sind die (untergärigen) Mengenbringer, wie Pilsner, Helles, Export etc. extrem bedeutend.
Der Siegeszug dieser Form der Bierherstellung ist wohl maßgeblich auf die Entdeckung, bzw. Isolierung der untergärigen Hefe ca. Mitte des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Die Forschung durch Pasteur, die 2. industrielle Revolution, sowie die Erfindung der Kältemaschine haben in der 2. Hälfte des gleichen Jahrhunderts die Branche komplett umgekrempelt, was sicherlich eine massive Zweitteilung des Marktes mit sich brachte einerseits moderne, finanziell gut ausgestattete tendentiell untergärige brauende Betriebe gegenüber „frei“ brauenden traditionellen Betrieben.
Mann könnte spekulieren, dass die Aufhebung des Weissbiermonopols in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vielleicht notwendig war, damit diese Biersorte überhaupt überleben konnte.
Der Österreicher Anton Dreher, sowie der Deutsche Gabriel Sedlmayr haben neben dem bereits recht etablierten Bier Pilsner Art mit ihrer Forschung und Erprobung von zeitgemäßen untergärigen Biersorten die Sorten Wiener Typ, bzw. Helles und Dunkel erschaffen. Mit der Biersorte Helles sollte ein Gegengewicht zu den Bieren Pilsner Art geschaffen werden. Während der von Anton Dreher kreierte Wiener Typ in Österreich angeblich praktisch ausgestorben ist, hat sich diese Biersorte erstaunlicherweise durch die Ãœberseepräsenz der Österreicher in Mexico gut halten können. Helles und Dunkel sind fest etablierte Biersorten in Bayern.
Die bedeutenden Biersorten heutzutage leiten sich maßgeblich aus dieser Entwicklung am Ende des 19. Jahrhunderts ab. Eine Ausnahme stellt das Bockbier dar, was wohl tatsächlich aus der norddeutschen Stadt Einbeck stammt, aber zu großem Ruhm erst mit der systematischen Herstellung in Bayern kam.
Man kann durchaus alle untergärigen Biersorten heutzutage in Deutschland relativ kompakt beschreiben: betont malzlastig, mäßiger Gehalt an Kohlensäure, mäßiger, fast schon grenzwertiger Einsatz Hopfen, Hang körperreich, bzw. vollmundig. Dies scheint eine feststehende Ãœbereinkunft in der deutschen Bierlandschaft zu sein. Ferner ist es auffällig, dass deutsche Biere eher zutatenbasierend und nicht herstellungsbasierend sind. So spielt die Herstellung eines Bieres in der Entstehung einer Biersorten keine vordergründige Rolle, außer vielleicht bei einem Eisbock, wo das Einfrieren des Bieres und die Konzentrierung des Bieres durch das Entfernen des entstehenden Eises herbeigeführt wird.
Vielleicht kann man schon erkennen, dass die Vielfalt gerade bei untergärigen Sorten stark durch den Entwicklungsprozess der Biersorten und dem Hang der nur marginalen Weiterentwicklung der Biersorten beeinträchtigt wurde.
Die Weiterentwicklung von obergärigen Sorten wird möglicherweise gehemmt, weil diese heutzutage nicht „Massentrend“-tauglich erscheinen.
Welche Formen der Weiterentwicklungen stehen zur Verfügung?
Zutaten
Hopfen
Hier wird bewusst nicht mit Malz angefangen, dann es ist absolut unverständlich, dass die Bedeutung von Hopfen so wenig in der Herstellung von Bieren in Deutschland gewürdigt wird. Deutschland hat neben dem Yakima Valley im Nordwesten der U.S.A. die bedeutendste Produktion von Hopfen auf der Welt. Ferner wurde die Anwendung von Hopfen durch das Reinheitsgebot in der deutschen Bierherstellung ja praktisch zementiert. Alles Ansätze, dass ein Land, welches so bedeutend in der Förderung der Bierzutat Hopfen ist, auch mehr Wert auf einen wirklich aussagekräftigen Einsatz von Hopfen legen sollte. S. dazu genauere Betrachtungen bei den Biersorten und Weiterentwicklungsmöglichkeiten weiter unten.
Hopfen teilt sich grob ein zwei Kategorien, die Bitterhopfen- und Aromahopfensorten. Der Bitterhopfen ist das Arbeitstier in der Bierherstellung, dies soll Grundbittere gewährleisten und einige chemische Prozesse, wie z.B. das Ausfällen von Eiweißen in der Kochphase unterstützen. Diese Hopfensorten werden in der Regel am Anfang der Kochphase beigegeben. Die Aromasorten sind für die Verfeinerung da. Durch eine späte Beigabe in der Kochphase sind sie hauptsächlich dazu da das Bier interessiert „zu würzen“. Eine frühe Beigabe in der Kochphase wäre eine Verschwendung.
Gerade der Einsatz von hochwertigeren Aromahopfensorten und vorallendingen die zeitgerechte Nutzung dieses Hopfens sind wichtige Kriterien ein interessantes Bier herzustellen. In Deutschland fast in Vergessenheit geraten, hat das sog. „Dry-Hopping“ in der U.S. amerikanischen (speziell weststaatlichen) Kleinbrau-Szene geradezu Kultstatus. Diese Methoden der späten Hopfengabe stellen auf jeden Fall sicher, dass die schönsten Geschmäcker des Hopfens auch wirklich beim Kunden ankommen. Es wäre dringend notwendig alte Methoden, wie das Hopfenstopfen und den Hopfentee wieder zu reaktivieren. Einige schöne Beispiele zum Einsatz solcher Methoden finden sich in der Bierrezepteliste auf dieser WebSite.
Malz
Malz ist eine ebenso hochentwickelte Zutat in der deutschen Bierbranche und sie wird vielfältiger genutzt als Hopfen. Die Spannbreite reicht von hellem Gerstenmalz bis hin zu Spezialmalzen, wie Rauchweizenmalz. Allerdings ist die Verwendung von Gerste und Weizen absolut dominierend, maßgeblich wohl wegen der ökonomischen Vorteile (z.B. viel Mehlkörper, wenig Spelze), was eine Menge Extrakt für das Geld ermöglicht. Man könnte noch ein wenig mehr in Richtung alternativer Getreidesorten gehen, denn die werden in der Regel derzeit nur entweder als „alternative“ Sorten eingesetzt, d.h. vornehmlich für eine biogeneigte Klientel oder für experimentelle Anwendungen. Gut wäre, wenn man sich eingehender mit den geschmacklichen Eigenschaften auseinandersetzt, wie der Einsatz bei der Bierherstellung das Produkt geschmacklich beeinflusst, bzw. man kann sich durchaus auch mal an der hohen Kunst des „Verschneidens“ heranwagen, großes Vorbild wären die Cuvees der Bordeaux-Weine.
Bei den Beschreibungen des Geschmacks der höheralkoholischen Bockbiere tauchen in der Biersortenbeschreibung regelmäßig Hinweise zu Trauben- und Pflaumen- Anklängen in den Bieren auf, die allesamt auf der Menge, bzw. Kombination der Malze zurückzuführen ist. Vielleicht kann man die Herstellung der Malze auch mal hinsichtlich eines komplexeren geschmacklichen Profils des Bieres hin ausrichten.
Hefe
Die Hefe beschert uns nicht nur Alkohol und Kohlensäure im Bier, sondern auch eine Reihe von komplexen Geschmackskomponenten. Dabei sind auf jeden Fall die Fruchtester durch obergärige Hefe bedeutend, während die Bildung dieser Geschmackskomponenten bei untergärigen nicht möglich, nicht erwünscht oder verpönt ist und selbst bei den obergärigen Sorten nicht wirklich gefördert wird.
Prinzipiell bieten die obergärigen Hefen eine größere Bandbreite interessantere Biere herzustellen. Bei den untergärigen scheint doch zu sehr Aspekte wie Endvergärung und keine Fruchtester im Vorgrund zu stehen.
Auch sollte man nicht unbedingt vor den Schreckgespenstern höhere Alkohole oder Diacetyl Angst haben… ein leichtes Butteraroma kann bei einigen Biersorten erheblich zur Bekömmlichkeit beitragen (s. dazu die Biersortenbeschreibungen).
Siehe am besten dazu die Liste an Hefestämmen auf dieser WebSite als Ãœbersetzung des Angebots der Firma Wyeast Labs.
Wasser
Wasser ist zwar der größte Teil des Bieres, allerdings auch eher der unscheinbarste. Bei der Herstellung von Bier spielt es auch eher nur eine hintergründige Rolle, so ist es für verschiedene Biersorten üblich härteres oder weicheres Wasser zu nehmen, um entweder dessen Charakter zu unterstreichen oder weil es in der Ursprungsregion dieser Biersorte kein anderes Bier gab.
Prinzipiell könnte man überlegen, ob Wasser charaktervoll genug ist, um die geschmacklichen Eigenschaften einer Biersorte eigenständig zu beeinflussen, so könnte z.B. eine ausgeprägte Mineralität eventuell dies erreichen.
Hier müsste man auf jeden Fall noch etwas weiter recherchieren.
Herstellungsprozess
Der Herstellungsprozess ist in Deutschland, wie schon geschrieben, nicht tatsächlich von Bedeutung, zumindest was eine bewusste geschmackliche Differenzierung betrifft. Es wird auf jeden Fall nicht ausreichend genutzt, um damit eigenständige Biersorten zu definieren, wobei ein Eisbock, wie erwähnt, eine seltene Ausnahme darstellt.
Folgend ein Durchlauf durch die verschiedenen Schritte in der Bierherstellung und ein paar gedankliche Ansätze, um Bier auch hier vielfältiger in Zukunft zu gestalten:
Vermälzung
Wie oben erwähnt, könnte man durch verschiedene Methoden der Vermälzung geschmackliche interessante Varianten erstellen.
Maische
Dieser Teil der Bierherstellung ist das Pendant zum Teeaufbrühen und bietet im Fachjargon zumindest schon die Methoden der Infusion (Einweichen mit warmen Wasser) und Dekoktion (Abkochen). Mazeration (Einweichen in kaltem Wasser) scheint hier keine Rolle zu spielen. Im Sinne der perfekten Umwandlung von Stärke zu Zucker, würde wohl ein einfaches aufsteigendes Infusionsverfahren ausreichen, allerdings das Abziehen von Teilen der Maische und dem seperaten Aufkochen (Dekoktion) wird bei Biersorten eingesetzt, die ein üppiges malzbetontes Profil aufweisen sollten.
Mein Wissen über geschmackliche Variationen bei unterschiedlichen Verfahren ist nicht ausreichend, allerdings könnte geprüft werden, ob ab- oder aussteigende Infusionen, Variationen in der Häufigkeit, bzw. Zeitpunkten der Dekoktionsmaischen oder schlichtweg die Länge der Maische einen Unterschied machen.
Läutern
Hier gibt es ein berühmtes Beispiel aus England, wie man hier variieren kann: Barleywine ist eine Biersorte, die nur den ersten Abzug der Maische, also die sog. Vorderwürze weiterverarbeitet. Der Nachlauf, bzw. das was durch die Nachgüsse an Würze zustande kommt könnte verworfen werden oder es könnte ein leichteres Bier daraus hergestellt werden.
Beispielhaft sei hier der qualitative Ansatz des belgischen Trappistenklosters Rochefort genannt (kein Zusammenhang zum Läutern beabsichtigt). Die unterteilen, bzw. bezeichnen Ihre drei Biermarken wie folgt: 8 (belgische) Grad, 10 Grad und 12 Grad. Diverse andere Abtei-Biere unterscheiden ebenso nach unterschiedlichen Stärkegraden. Belgische Grade basieren auf dem spezifischen Gewicht der Würze. So wurde ein 8 Grad Bier mit 1,080 kg /Ltr. eingemaischt, 10 Grad mit 1,100 kg /Ltr. usw. Dies hat wohl nicht mit der Trennung von Vorderwürze und Nachgüssen zu tun, aber dieser „PKW-Modell“-Ansatz könnte auch hier genutzt werden.
Kochen
Die Kochphase hat verschiedene Funktionen: Sterilisierung, Ausfällen von Eiweiß, Konzentration der Würze etc. Es trägt zur Malzbetonung bei und unterstützt die Eindunklung eines Bieres (Bildung von Melanoidinen?), sowie geschmacklich die Bildung von Karameltönen etc.
Es ist aber auch die Phase, wo zumindest in Deutschland 100% des Hopfens beigegeben wird. Hier könnte eine sehr eingehende Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Hopfen stattfinden, bis hin in die Post-Kochphase. Das grobe System: frühe Gabe von Bitterhopfen für Grundbittere und chemische Reaktionen und späte Hopfengabe von Aromahopfen für den Geschmack. Hier kann und sollte sehr detailliert ermittelt werden, was Hopfen geschmacklich leisten kann, welche optimalen geschmacklichen Beiträge bei welcher zeitlichen Gabe geleistet werden können etc.
Abkühlen
kann man wohl nicht großartig variieren…
Vergärung
Neben den Variationen durch die Anwendung verschiedener Hefestämme, sind Variationen sicherlich durch Gärlänge, Gärtemperatur und Wechsel in den Temperaturen möglich. Gerade bei Gärlänge und Temperatur entstehen sehr unterschiedliche geschmackliche Variationen, denn es müssen nicht immer die allgegenwärtigen sieben Tage sein.
Welche Möglichkeiten gibt es mit dem Schlauchzeitpunkt zu spielen, z.B. das Bier absichtlich früher in die Lagerphase zu nehmen? In der U.S. amerikanischen Heimbrauerszene wird auch oft unterschieden nach 1. Gärung, 2. Gärung und Lagerphase, während es in Deutschland üblicherweise nur Gärung und Lagerung gibt. Oft handelt es sich bei der 2. Gärung um eine verkappte Lagerung, manchmal aber auch nicht gibt es hier Ansätze ein Bier geschmacklich zu variieren?
Dann ist es bei Piemonteser Weinen üblich während der Gärung den Jungwein mind. 2x am Tag umzupumpen, um durch den Sauerstoffkontakt die Gärung ständig neu anzuregen und somit mehr Geschmacksnuancen zu ergären. Welche geschmacklichen Konsequenzen hätte dies beim Bier?
Lagerung
Die Lagerung ist eine subtile Möglichkeit der Variation, weil die Feinheiten erst in der Ruhe der langen Lagerung entstehen, allerdings trägt eine lange Lagerung auch zum Abbau von negativen, wie auch positiven geschmacklichen Varianzen bei, prinzipiell wäre es wohl fair zu sagen, dass ein harmonischeres Produkt mit einer langen Lagerung entsteht. Allerdings stellt dieser Bereich in der Brauerei möglicherweise ein zu optimierender Kostenfaktor dar, was die Qualität eines Bieres vermindern könnte.
Die Lagerphase ist maßgeblich für die Entstehung der Kohlensäure zuständig, je länger die Lagerphase, umso feiner entwickelt sich z.B. die Kohlensäure und um so harmonischer und geschmacklich ausgewogener präsentiert sich dann das Bier. Der Kohlensäuregehalt beeinflusst den Charakter eines Bieres maßgeblich, z.B. bei einem ungespundeten fränkischen Kellerbier oder am anderen Ende bei einem Weissbier. Feinperligkeit ist z.B. auch in der Weinbranche ein Qualitätsmerkmal, so ist schon ein erheblicher Unterschied zwischen einem preisaggressivem Prosecco Frizzante Perlwein und einem 48 Monate flaschengelagerten spanischen Cava Schaumwein zu erkennen.
Hier könnte auch die hohe Kunst der Flaschenlagerung, wie es auch nicht mehr überall bei Hefeweissbier praktiziert wird, wieder belebt werden. Die belgischen Brauereien pflegen diese Kultur nirgendwo sonst gibt es so ein umfangreiches flaschengelagertes Sortiment. Ein Champagne aus dem Stahltank wäre ja auch nicht das, was man sich wirklich wünscht…
Unsere Biersorten in der Zukunft
Der Markt stagniert, in vielfacher Hinsicht eine wahre Aussage. Was ist eine Ursache für Stagnation Unbeweglichkeit und fehlender Mut neue Wege zu gehen. Demnach ist die Entwicklung der Biermischgetränke (oft von Biertraditionalisten als ein Unding abgetan) vom Prinzip her eine Entwicklung, die zu begrüßen ist, da sie in einem wachsenden Segment die Konsumenten mit neuen Kreationen versucht zu erreichen. Ist es allerdings der deutsche Weg, dass solche Entwicklungen immer wie ein Flächenbrand über die Bevölkerung herziehen müssen?
Neuerungen sind wichtig, allerdings sollten sie eine nachweislich qualitative und konsumanregende Bereicherung des Angebots darstellen. Die Dynamik der Neuerungen sollte immer aus der Situation Vorbild-Verbesserung heraus entstehen und langfristig dazu führen, dass Hersteller zu Spezialisten in dem werden, was sie für sich als Produkt, bzw. Marktsegment definiert haben. Klingt ein wenig nach der folgenden Definition des Zwecks von Marketing:
Marketing ist dazu da, das Produkt so (einzigartig) darzustellen, dass es sich von alleine verkauft.
Das sollte sich jeder Hersteller fragen, bzw. Gedanken machen, wie er dies über seine Produkte erreichen kann, dann wird es auch eines Tages ein interessantes, dynamisches und verbrauchergerechtes Bierangebot geben.
Somit ist es zwangsläufig notwendig, sich auch über die Weiterentwicklung der bestehenden Biersorten Gedanken zu machen:
Pilsner/Helles/Export
Diese Gruppe der hellen untergärigen Volksbiersorten ist leider von einer Ähnlichkeit geprägt, dass es manchmal schwer fällt überhaupt noch deutliche Unterschiede zwischen den Biermarken festzustellen. Pilsner entwickelt sich langsam zu einem mittelmäßig gehopften Einheitsbier, was sich in Zukunft noch durch Werbebudget und Glasform unterscheiden wird. Die hohen Ansprüche, was die Edelhopfenbittere angeht, scheint beileibe nicht mehr von allen beherzigt zu werden, so belegen zumindest die Analysen der TU Berlin, dass die Bitterwerte von Pilsner kontinuierlich weiter sacken.
Bitterwerte ist vielleicht genau das Stichwort… Bei der Bedeutung dieser Biersorten innerhalb Deutschlands und bei der Bedeutung, die die Hopfenproduktion in Deutschland hat, sollte hier eine viel engere Verbindung zwischen diesen beiden Welten geschaffen werden. Pilsner sollte und könnte wieder verstärkt als „Edelhopfen-Heimat“ angesehen werden mit bewusst später Hopfengabe, um gerade die Vielfalt und Würze des Hopfens hierzulande zu dokumentieren. Sollte Helles und Export im Ansehen unter dem Pilsner verbleiben, sollten diesen zwar auch stärker gehopft werden, hier käme es dann aber nicht zwingend auf den Edelhopfencharakter an.
Ferner könnte Export und Helles mit einer stärkeren Differenzierung der Alkoholgrade unterschieden werden. Bei Export scheint es zumindest einen Ansatz in eine solche Richtung zu geben, denn ein Export Spezial ist eine Abwandlung eines regulären Exports mit einem Grad Plato mehr (statt 12, dann 13).
Hier könnten sehr starke Versionen entstehen, vielleicht bis 8 % Alk. Vol., die bei einer ausgewogenen Hopfung immer noch eine gewisse Typizität der Originalsorten aufrechterhalten könnte. Oder es könnte die Methode Vorderwürze und Nachgüsse zur Herstellung eines starken und eines leichten Typs genutzt werden (so etwas wie Barleywine und einem „Zweitbier“). Die Einteilung nach Art der belgischen Graden könnte Vorbild sein.
Eine Abgrenzung zu einem hellen Bock wäre möglich, wenn dieser als ein eher malzorientiertes Produkt weiterhin interpretiert würde.
Maßgeblich ist bei einer Umgestaltung der Biersorten Helles, Pilsner und Export die Hopfenbetonung. Dies hätte u.U. auch zur Folge das hopfenproduzierende Regionen ihre eigene Herkunft stärker betonen könnten.
Märzen/Festbiere/Zwicklbier/Kräusenbier
Bei diesen Biersorten kommt es maßgeblich auf Helligkeit und Süffigkeit an, somit sind diese eigentlich in ihrer Art schon recht gut positioniert. Prinzipiell sollte es hier bei der Malzbetonung bleiben, bei Märzen, bzw. Festbier mit einer mässigen Kohlensäure, dass diese ihrem Zechstatus auch gerecht bleiben können.
Zwicklbier und Kräusenbier haben von der Art her zwar auch eher einen sanften Ansatz durch ihre Süße, aber man würde schon einen „jugendlichen Charme“ mit diesen Bieren verbinden. Somit wären Attribute, wie Hefetrübung, Spritzigkeit, Süße, vielleicht niedriger Alkoholgehalt (z.B. zwischen 3 und 4%) durchaus zu begrüßen. Das schreit so ein wenig nach restsüßen Bieren, entweder zu erreichen durch Aufkräusen oder absichtlich niedrig vergärender Hefe. Könnte auch als saisonales Bier, z.B. nur im Sommer etabliert werden. Ein wenig Diacetyl könnte es geschmacklich weicher gestalten, obwohl Diacetyl in der Regel kein erwünschtes Attribut ist, weil es angeblich mitverantwortlich für die berühmten Kopfschmerzen am nächsten Tag ist.
Dunkel/Braunbier
Hier kommen wir schon in Regionen, die eine bewusste Malzbetonung darstellen sollten und das tut zumindest die Biersorte Dunkel auch. Dezente Hopfung und keine Röstaromen durch die Malze ist wünschenswert. Vom Alkoholgehalt sollte es nicht zu stark variieren, denn Vollbiercharakter würde zu diesem Bier passen.
Allerdings scheint es eine eklatante Lücke bei den untergärigen deutschen Biersorten zu geben bernsteinfarbene Biere. Bei den obergärigen tendieren zwar die Altbiere in diese Richtung, aber eine untergärige Biersorte, die Malz und Hopfen-Ausgewogenheit mit einer bernsteinfarbenen oder noch schöner einem rötlichen Anklang verbindet ist rar, könnte aber durch die seltene Biersorte Braunbier durchaus erfüllt werden.
Schwarzbier
Schwarzbier wäre vielleicht ein ideale Kategorie, um Biere mit einer betonten Malzbittere den Verbrauchern zu bieten. Englische Biersorten, wie Porter und die sicherlich bekannte Sorte Stout sind dabei gute Vorbilder, was man alles mit einer solchen Sorte anstellen könnte.
Derzeit präsentiert sich Schwarzbier leider in der Regel als eine fast zu süffige Weiterentwicklung eines Dunkel, nur dunkler eben. Die Krönung stellt der Werbespruch „Das Schwarz mit der blonden Seele“ dar, was fast wie ein Verleugnung seiner Herkunft klingt… „das Bier ist zwar schwarz, aber es wäre schön, wenn die Verbraucher mich wie ein Pilsner behandeln könnten“. Das ist wie einen Mercedes mit Honda-Motor oder im Thailand-Urlaub zu McDonalds essen zu gehen und komplett konträr zu einer schlüssigen und produktkonformen Vermarktung. Siehe z.B. Guinness, welches bei weitem das bekannteste und erfolgreichste Stout ist und zurecht, denn es ist mehr als sortentypisch.
Bei Schwarzbier könnte es durchaus auch ähnliche Varianten wie beim Stout geben (Coffee Stout, Milk Stout, Imperial Stout etc.). Schwarzbier könnte somit eine Vorbildsorte für charaktervolle Malze werden, Anklänge von Kaffee, vielleicht mit Raucharomen, stark karamellastig wie geröstete Mandeln, betont trocken, vielleicht auch eine kleine Milchsäureinfektion, es gäbe eine Menge Ideen. Alkoholgrade könnten ohne weiteres von 4% bis 10% Alk. Vol. variieren und immer noch typgerecht wirken.
Heller Bock/Dunkler Bock/Doppelbock/Eisbock
Bock ist von der Art ein höheralkoholisches Bier, somit wäre es sicherlich undenkbar ein Bock mit 5% Alk. Vol. anzubieten. Prinzipiell sollte ein Bock auch ein malzbetontes Bier bleiben, könnte aber durchaus einen guten Teil mehr Hopfen vertragen ohne die Malzbetonung ernsthaft zu unterbinden. In der Biersortenbeschreibung des BJCP wird bei den Bocksorten immer wieder das Wort cloying benutzt, was auf deutsch so viel wie appetitverderbend bedeutet, bzw. auf eine unangemessen hohe und aufdringliche Süße anspielt, was sicherlich weder dem Hersteller noch dem Konsument recht wäre.
Heller Bock kommt in der Biersortenbeschreibung nicht so gut weg, da es als weder Fisch noch Fleisch angesehen wird, allerdings hat es schon seine Daseinsberechtigung. Gerade in der Version als Maibock hat es zumindest einen saisonalen Festcharakter und sollte ähnlich wie typische Fastenbiere (z.B. einem Weizenstarkbier) neben einem auffälligen Kohlensäuregehalt eine gute Portion Süße aufweisen, damit man damit die „Unstetigkeit“ des Umbruchs von Winter zu Frühling gut symbolisieren kann. Da ein Maibock oft schon im Februar angeboten wird, wäre diese Interpretation durchaus in Ordnung. Eine Variante könnte ein Frühlingsbock sein.
Dunkler Bock und Doppelbock sind prinzipiell so in Ordnung, mit der einzigen Einschränkung, dass diese in der Regel nur etwas stärker gehopft sein könnten, zumindest um den wie oben geschrieben „cloying-Effekt“ zu unterbinden. Ansonsten sind höherprozentige Biere immer gute Kandidaten für mehr Vielfalt, weil sie vom Aroma und Geschmack mehr Komplexität entwickeln.
Es könnte hier ein Pendant zu einer italienischen Wein-Qualitätsstufe entstehen, die sog. Riserva-Qualität (bedeutet bei Wein ein Jahr zusätzliche Holzfasslagerung) und was bei Bier die Länge der Lagerung kennzeichnen würde.
Eine Randnotiz zu der Entwicklung, bzw. Herkunft des Bockbieres: Erstaunlich ist, dass Bockbier zwar aus Norddeutschland stammt, aber bis auf das Einbecker Brauhaus praktisch keine norddeutsche Brauerei diesen Biertyp überhaupt noch pflegt. Hier wäre ein wenig mehr Lokalpatriotismus angemessen, um diese Biersorte regional wieder heimischer zu machen. Diese Initiative könnte auch im eigenen Interesse von der Einbecker Brauerei selbst ausgehen.
Weizenbier/Weizenstarkbier/Roggenbier
kommen wir zu den obergärigen Bieren…
Weizenbier ist eine sehr alte Form der Braukunst, existierte sie doch schon lange als eine relativ gut definierte Sorte vor dem Siegeszug der untergärigen Biere im 19. Jahrhundert. Weizen scheint dem Bier eine ganz außergewöhnlich kernige und spritzige Art zu verleihen, welches ein hervorragendes Gegengewicht zu den so etablieren malzlastigen untergärigen Bieren darstellt. Dies sollte unbedingt aufrechterhalten werden.
Weizenbier bietet vom Typus des Getränks eine große Spannbreite dar. Die Tatsache, dass es sogar als ein Starkbier vermarktbar ist zeigt die Existenz der Weizenstarkbiere nach Art Aventinus und Co. Ansonsten erscheint ein Weizenbier gerade wegen seiner spritzigen Art eher als ein sommer- und sportgeeignetes, durstlöschendes Produkt. Somit sollte erheblich mehr Wert auf alkohol-leichtere Versionen eines Weizens (in der Regel 5,5% Alk. Vol.) geschaffen werden. 4,5% würde vollkommen reichen.
Das spritzig-jugendliche Image könnte noch erheblich mehr herausgearbeitet werden durch niedrigvergärende Hefe, d.h. Restsüße, mehr Fruchtesterbetonung etc.
Roggenbier ist vom Prinzip eine Weizenbier-Machart. Welche anderen Möglichkeiten bestehen noch mit anderen Kornarten? Hier sollte eine eingehende Auseinandersetzung, bzw. geschmackliche Auseinandersetzung mit alternativen Kornarten geschehen. Vereinzelt tauchen einige Biere mit anderen Kornarten auf, wie z.B. Dinkel, Einkorn etc.. Leider bugsieren sich diese Biere schnell in eine zu spezielle Ecke oder man kann nicht eindeutig erkennen, welche geschmackliche Varianz in diesem Bier/Kornart steckt. Entweder sind diese Biere nicht gut genug dokumentiert oder es wurde zu wenig Arbeit in die Brauart dieser Spezialbiere gesteckt warum muss z.B. so ein Bier immer zwischen 5 bis 5,5% Alk. aufweisen, vielleicht kommen bei höheren Alkoholgraden die Charakteristika dieser Kornart viel besser durch?
Mit Weizenbier existiert auch NOCH die hohe Kunst der Flaschenvergärung, Kostenaspekte scheinen sich aber möglicherweise auch immer mehr in dieser Sparte durch zu setzen, u.a. auch gefördert von dem gastronomischen Irrweg, dass Weizen aus dem Fass höherwertiger dargestellt wird, als ein Flaschen(-vergorenes) Angebot.
Welche Maßnahmen unterstützen eine stärkere Sensibilisierung gegenüber Flaschenvergärung?
Berliner Weisse
Dieser Biertyp ist faktisch vom Aussterben bedroht. Nur noch zwei große Hauptstadtbrauereien scheinen sich immerhin die Mühe machen zu wollen, diesen Biertyp anzubieten. Allerdings kann man spekulieren, dass unter Kostenaspekten die Produktion auch irgendwann eingestellt werden könnte.
Berliner Weisse hätte ein enormes Potenzial, wenn es weniger als ein Schankbier angesehen würde, sondern mehr als ein leichtalkoholisches Pendant zu einem Schaumwein. Eine gehobene Version mit Alkoholgraden bis 7% wäre durchaus realistisch, Flaschenvergärung ein Muss, Variationen im Süßegrad wünschenswert, vielleicht könnte man das sogar ohne Dosage von Zuckerlösungen, wie beim Champagne oder anderen Schaumweinen hinbekommen. Lange Lagerung bis zu 4 Jahren würde ein edelmoussierendes Produkt entstehen lassen.
Alt/Kölsch
Diese (teilweise europäisch geschützten) Regionalspezialitäten sind in Ihrer Art sozusagen vollkommen. Die Logik verbietet es eigentlich größere Änderungen für diese Typen von Bier vorzuschlagen.
Allerdings kann man durchaus noch die Marke Alt oder Kölsch versuchen zu verbessern, bzw. zu differenzieren. So wird mit „Sticke“ versucht die Hopfenbetonung eines traditionellen Düsseldorfer Alts noch stärker heraus zu arbeiten.
Ein Kölsch wird zwar auch als unfiltrierte Version schon variiert (Wiess), allerdings bedient diese Entwicklung möglicherweise nur einen schon bestehenden Trend hin zu naturbelassenen Produkten, aber stellt nicht unbedingt eine eigenständige Weiterentwicklung, bzw. Verbesserung des Produkts dar. Ein Kölsch ist allerdings ein obergäriges Bier, wobei eine absichtlich Fruchtesterbetonung eine Weiterentwicklung darstellen könnte. Vielleicht bestehen sogar Möglichkeiten helle Malze so herzustellen, dass sie bestimmte Fruchtaromen (malzbasierend) fördern.
Obergärige Biere an sich präsentieren sich in Deutschland leider auch nur all zu oft als ein schlechter Nachahmer von untergärigen Sorten. So stellt ein norddeutsches Alt (s. Biersortenbeschreibung) durch die Vergärung bei niederen obergärigen Temperaturen eine Annährung an die „Vorzüge“ eines untergärigen Bieres und somit eine vermeintliche schlechtere Version des traditionellen Düsseldorfer Alts dar. Auch kann man immer wieder erkennen, dass die Grundwerte eines obergärigen Bieres ständig unterwandert werden, kalte und lange Lagerung sollen tunlichst eine zu auffällige Fruchtesterbetonung unterbinden. Dies ist ein Indiz für Homogenisierung-Bestrebungen, Kreativitätslosigkeit und mangelndem Mut in der deutschen Bierbranche.
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