Frechheit gehört zum Geschäft. Auch und besonders, wenn es um den hart umkämpften Touristenmarkt in der Prager Altstadt geht. Da wird mit harten Bandagen gekämpft und es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau genommen. Oder sie wird zumindest so lange verdreht, bis am Ende eine pfiffige Formulierung herauskommt, die nicht wirklich falsch ist, aber doch nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte…
Wir lesen interessiert auf der Homepage der Pivovar U Supa, dass es sich um die älteste Brauerei mit einem Pub in Prag handele, die Wurzeln reichten bis zurück ins 15. Jahrhundert. Und in der Tat, als wir nach einem gemütlichen Herbstspaziergang durch die Gassen vor der Brauerei stehen, begrüßt uns das beleuchtete Wirtshausschild mit einem großen S und der Jahreszahl 1431.
Fast ehrfürchtig betreten wir also die alten Gemäuer, und hätten wir uns nicht vorher genauer informiert, würden wir jetzt ein uraltes Sudwerk erwarten, in Stein gemauert, an dem der Sládek, wie der Bierbrauer hier in Tschechien heißt, mit viel Handarbeit im Schweiße seines Angesichts die Würze bereitet. Aber weit gefehlt. Stattdessen steht direkt hinter dem Eingang ein hypermodernes Sudwerk der Firma Joh. Albrecht mit einem gläsernen Maischebottich. Blitzblank poliert. Und nicht nur gut gepflegt, sondern in der Tat auch noch niegelnagelneu.
Vor drei oder vier Monaten erst ist es in Betrieb genommen worden, und die Pivovar U Supa ist somit eine der jüngsten Prager Brauereien überhaupt, wenn nicht sogar heute, am 12. November 2016, noch die jüngste überhaupt.
Na klar, die Geschichte des Wirtshausbetriebs hier in der Celetná-Straße, die mag bis 1431 zurückreichen, und Bier hat es in dieser Schänke, wir sind schließlich in Tschechien, auch immer schon gegeben. Vielleicht hat man vor vier- oder fünfhundert Jahren hier auch schon einmal gebraut, vielleicht gehörte dem Wirt auch eine Braustätte an anderem Ort. Vielleicht, vielleicht, vielleicht…
Auch die stramme Behauptung, ein solches gläsernes Sudwerk, wie es hier zu bewundern ist, gebe es in ganz Europa nur vier Mal, hält wohl einer genaueren Ãœberprüfung nicht stand. Mir fallen auf Anhieb drei weitere Standorte ein (die Bierhalle in Warschau, die Gläserne Privatbrauerei Schad in Halle und die Mönchshof-Museumsbrauerei in Kulmbach), und wie groß ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ich genau alle vier dieser gläsernen Brauereien bereits besucht und näher kennengelernt habe?
Aber genug des Lästerns über die dick aufgetragenen Werbebotschaften im Netz jetzt suchen wir uns erst einmal einen Platz und überprüfen, ob sich die 44 Jahre Berufserfahrung des Brauers, der vorher in der berühmten Brauerei U Fleků gearbeitet hat, auf die Qualität des Biers auswirken.
Wir schlagen die Speisekarte auf und sind im ersten Moment ein wenig enttäuscht. Verschiedene Biersorten anderer Brauereien gibt es hier vom Fass, unter anderem auch, und das ist ja grundsätzlich lobenswert, das Kasteel Rouge, aber nur eine einzige eigene Sorte. Domácà Pivo, Hausbier, steht hier. Nun ja, immer noch besser eine Sorte als keine, und frohgemut winken wir den Kellner zu uns heran. Zum Essen bestellen wir Martinsgans, und fragen ihn nach dem Hausbier. „Na klar“, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, „Welches hätten Sie den gerne? Das Helle, SvÄ›tlé, oder das Halbdunkle, Polotmavé?“ Aha, es gibt also doch mehr als nur eine Sorte hätte uns auch gewundert.
„Von jedem eins, bitteschön!“, und im Nu stehen zwei Bierkrüge vor uns. Aber so richtig glücklich machen sie uns nicht. Das Helle ist ein solides Prager Bier, malzig und süffig, mit einer kräftigen, hier in Tschechien so beliebten Diacetylnote. Kräftig buttrig wabert sie uns entgegen. Kann man so brauen, muss man aber nicht. Dezentes Diacetyl ist in Ordnung, aber hier ist es ein wenig zu intensiv. Trinkbar, aber keine wirkliche Offenbarung.
Schlimmer ist dann schon das Halbdunkle, das von der Farbe her auch als richtiges Dunkles durchgehen würde. Ein intensives Methanthiolon-Aroma. Ach, diese merkwürdige Substanz, die in geringen Konzentrationen an Schwarze Johannisbeeren erinnert und ein Schwarzbier durchaus ein wenig interessanter machen kann, auch wenn es sich objektiv um ein Fehlaroma handelt. Aber kaum steigt die Konzentration ein wenig an, und das macht es für den Brauer so gefährlich, schlägt die Geschmackswahrnehmung um, und statt Schwarzer Johannisbeere meint man, Katzenurin zu riechen. Immer wieder spannend bei Sensorik-Seminaren, zu beobachten, ab welcher Schwelle der Eindruck umschlägt, der Gesichtsausdruck von „hm, lecker!“ zu „igitt!“ wechselt. Bei jedem Menschen individuell, und manche besonders sensiblen Verkoster überspringen die Johannisbeerphase gleich ganz und riechen nur Katzenurin.
Hier, im halbdunklen Bier der Pivovar U Supa, ist für mich auch eher weniger Frucht, sondern gleich die Katze im Vordergrund. Hart an der Grenze zur Untrinkbarkeit. Schade.
Zur kräftig mit Rosmarin gewürzten Martingsgans trinke ich den Krug zwar doch ganz aus, wirklich glücklich bin ich aber nicht. Insbesondere deswegen enttäuschend, weil die Freundlichkeit der Kellner, das Essen und die Atmosphäre so schön sind. Ärgerlich, wenn dann das Bier nicht mithalten kann.
Wir möchten gerade zahlen, als wir am Nachbartisch einen Dialog mithören, in dem die Rede von einer dritten Biersorte ist. Also, Kommando zurück, erst hätten wir gerne noch einen Krug von dieser dritten Sorte, und dann erst zahlen wir. „Aber“, so erläutert uns der Kellner, „das sei ein ganz anderes Bier und würde uns vielleicht gar nicht so sehr schmecken. Stark gehopft sei es, ganz, ganz bitter. Ein sogenanntes IPA, also nur etwas für hartgesottene Biertrinker!“
Na, dann aber schnell hätten wir das doch eher gewusst!
Und tatsächlich dieses Bier versöhnt uns mit dem Brauer. Hier stimmt fast alles. Unfiltriert, vielleicht ein bisschen zu kalt serviert, mit einer schönen, fruchtigen Hopfennase. Nicht nur Grapefruit, sondern auch Maracuja und Aprikose glauben wir, zu riechen, und auf der Zunge eine knackige, frische Bittere. Sehr schön! Ein etwas kräftiger Malzkörper könnte es sein, es ist fast zu schlank, aber nur fast. Ein richtig schönes und gutes Bier, und so gehen wir denn doch noch zufrieden aus dieser kleinen, nagelneuen Brauerei heraus. Werfen noch einen Blick auf den Automaten draußen auf der Straße, in dem sich die Schweinshaxen drehen, die man drinnen bestellen kann, und wundern uns schon lange nicht mehr, wie man diese gerade erst in Betrieb genommenen Brauerei als die älteste in Prag bezeichnen kann…
Die Pivovar U Supa ist täglich ab 11:30 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Sie liegt im Fußgängerbereich, von der zentralen Straßenbahnhaltestelle NámÄ›stà Republiky mit fast allen Linien der Stadt sind es etwa 200 m zu Fuß.
Pivovar U Supa
Celetná 22
110 00 Praha
Tschechien