Krakau im Regen. Grauer Himmel, in den Pfützen an der Hauptstraße entlang der Weichsel schillern Benzintropfen in allen Farben des Regenbogens. Nach einem langen, heißen Sommer das erste trübe und verregnete Wochenende. Was für ein Glück, dass das Bierfestival Beer Week 02 in der Halle stattfindet, und zwar Club Fabryka, in einer alten, aufgelassenen Fabrik. Zum letzten Mal allerdings werden diese Mauern ein solches Festival beherbergen, denn schon am 1. Oktober sollen die Bagger anrollen und bis auf einen denkmalgeschützten Kernbereich und die Fassade alles abtragen. Wohnungen, Appartements in bester Lage, nur wenige Schritte von der Weichsel entfernt, sollen hier entstehen.
Abner vorher noch einmal das Bierfestival. Die Krakauer Schau der handwerklichen Biere Krakowski PrzeglÄ…d Piw RzemiesÅ‚niczych. Rund zwei Dutzend Kleinbrauereien und Wanderbrauer haben in den Hallen ihre Stände aufgebaut teils individuell, teils im Verbund mit anderen, und mindestens 100 verschiedene Biere gibt es hier zu verkosten, viele davon extra für dieses Festival eingebraut.
Am frühen Nachmittag herrscht noch gähnende Leere in den Hallen, und der Street-Food-Court ist zwar mit Planen ein wenig vor dem direkten Regen geschützt, gleichwohl ist aber alles feucht, alles matschig. Eine auf den ersten Blick frustrierende Atmosphäre. Doch wir sind nicht in Deutschland, sondern in Polen. Frust? Nein. Trotziger Optimismus, stolze Fröhlichkeit allerorten. Laut lachend laufen die jungen Damen auf High Heels durch den Schlamm. Drinnen in den leeren Hallen heißt es: Wenig Gäste? Ach, dann bleibt wenigstens Zeit für Gespräche mit den Brauern! Und wartet mal ab, die Halle füllt sich noch!
Nach einem ersten Aufwärmbier, einer Berliner Weisse mit Aronia, gehe ich zunächst in den kleinen Vortragssaal und höre mir einen Vortrag von MichaÅ‚ „Docent“ Miranda über die noch kurze Geschichte der polnischen Craft-Bier-Bewegung an. Eine Stunde lang nimmt uns MichaÅ‚ mit auf eine Reise durch die letzten fünfzehn Jahre. Schwierige Anfänge, Fehlinvestitionen, wunderliche Ansätze, und schließlich, erst in den letzten vier Jahren, seit Sommer 2011, die Explosion. Jeden Tag ein neues Bier, jede Woche eine neue Brauerei oder ein neuer Wanderbrauer. Auch die engagiertesten Bierliebhaber und Blogger können nicht Schritt halten, nicht alles persönlich in Augenschein nehmen und dokumentieren. Ein guter Vortrag, der gerne ein paar mehr Gäste verdient gehabt hätte.
Zurück in die Hallen, die sich in der Zwischenzeit doch langsam beginnen, zu füllen. In der Festivalbar gibt es die Gläser mit dem Logo der Veranstaltung zu kaufen, und direkt daneben…
Ein Frisör!
Hipster-Bärte und Schöpfe werden zurecht gestutzt wer in der Szene etwas gelten möchte, muss auf der Höhe der Zeit sein, auch mit seinem Haarschnitt. Eine goldene Idee die Warteschlange ist lang!
Daneben, strategisch günstig positioniert, die Brauerei Reden. Åukasz Åazinka, der Brauer, steht an der Theke. Vor zwei Jahren noch Hausbrauer, jetzt schon mit der Brauerei expandiert und aus Platzgründen umgezogen. Eine schlesische Erfolgsgeschichte. Keine zu exotischen Experimente, sondern handwerklich solide und leckere Biere. Pils, Weizen, Dunkelweizen und ein IPA, das mit Zitronenlimette gestopft und aromatisiert ist. Sehr harmonisch.
Weiter geht es an den Stand der Krakauer Bierkneipe Strefa Piwa heute vorrangig mit Bieren der Brauerei Podgórz bestückt. Und der Brauer, Åukasz Jajecznica, ist auch da. Ein paar ganz ausgezeichnete Biere hat er mitgebracht, nicht umsonst war er Handwerksbrauer des Jahres 2014. Ein Barleywine der ganz besonderen Art, wunderbar malzig und rund, ein seltenes Fünf-Sterne-Bier: Burgundowy Åowca. Aber die Jungs vom Strefa Piwa haben sich noch etwas Besonderes ausgedacht: Das sowieso schon gute und fruchtige IPA Space Sheep von Åukasz zapfen sie durch einen sogenannten Randall, eine Patrone, die mit allen möglichen Zutaten gefüllt werden kann. Das Bier strömt beim Zapfen durch diese Patrone und nimmt frische Aromen auf. Heute war der Randall randvoll mit Limette, Granatapfel, Grapefruit, Mango und Orange. Und das Bier? Fruchtig, süß, hopfig-herb, spannend!
Am Stand der Brauerei Ursa Maior: Auch hier die Brauerin persönlich anwesend. Agnieszka Åopata. Vier Biere vom Fass, dazu noch ein paar aus der Flasche. Der Pantokrator, ein Belgisches IPA, gebraut mit einer Trappisten-Hefe. Eine Offenbarung. Wunderbare und komplexe Aromen, wie man sie von den guten belgischen Klosterbieren kennt, gepaart mit würzigen, harzigen Hopfenaromen, sagenhaft! Schon das zweite Fünf-Sterne-Bier heute. Bei solch einer Bierqualität kein Wunder, dass Agnieszka sich mit dem Gedanken trägt, ihre sowieso schon recht große Handwerksbrauerei in Uherce Mineralne zu erweitern. Ich gönne ihr den Erfolg von Herzen.
Tomasz Rogaczewski taucht auf Eigner der Brauerei Pracownia Piwa im Norden Krakaus. Auch er vom eigenen Erfolg überwältigt. Gerade erst hat er einen großen Anbau mit einem neuen Sudwerk fertiggestellt, und schon wieder kann sein Angebot mit der Nachfrage nicht mithalten. Noch mal anbauen? Noch mal vergrößern, nach nur einem halben Jahr? Das Grundstück bietet genug Platz, orakelt Tomasz vieldeutig, ohne sich festzulegen…
Letzte Station für heute: Die Brauerei Twigg. David Twigg und Paulina Golec stehen hinter der Theke, kämpfen für einen Moment mit einem von einer Hopfendolde verstopften Zapfhahn. Frisch gestopfte Biere haben gelegentlich in der Handhabung ihren Preis. Aber rasch ist die Leitung wieder frei. Auch hier gilt: Die Brauerei läuft prima. David und Paulina strahlen, als sie davon berichten. Ich probiere das Infra Red Rye Porter, ein festes, sämiges und nahrhaftes Bier, und das SÅ‚oneczne, ein fruchtig frisches, mit Hopfendolden gestopftes und die Zapfhähne gefährdendes IPA. Lecker. Mehr davon!
Aber nicht mehr heute. Die Hallen sind rappelvoll, es brummt wie in einem Bienenstock, die Luft ist zum Schneiden dick. Irgendwann muss man aber Schluss machen. Ein paar kurze Impressionen noch im Vorübergehen, und schließlich hat mich der Krakauer Regen wieder. Randvoll mit neuen Eindrücken und einmal wieder begeistert von der Innovationsfreude und dem nach vorne drängenden Optimismus der polnischen Craft-Bier-Szene schlendere ich gemütlich zum Hotel. Morgen noch einmal? Mal sehen. Vielleicht.