Chodov, ein gesichtsloser, grauer Stadtteil Prags. Plattenbetonbauten, Einkaufzentren in architektonisch fragwürdigem Stil, zu enge Straßen mit viel zu wenig Stellflächen, so dass alles zugeparkt ist. Dazu leichter Nieselregen. Wirklich einladend ist das alles nicht.
Unbeeindruckt vom Ambiente lotst uns das Navi durch das Straßengewirr und behauptet irgendwann stolz „Sie haben Ihren Bestimmungsort erreicht.“ Meine holde Ehefrau und ich sehen uns entgeistert an. Vor uns eine Poliklinik. Ob das so richtig ist? Wir sehen uns um.
Ganz versteckt, hinter ein paar Bäumen, an einem klotzigen Betongebäude steht groß JihomÄ›stský Pivovar, Südstadt-Brauerei. „Aha“, schießt es mir durch den Kopf. „Also doch lediglich eine Regionalbrauerei ohne Ausschank, ein reiner Produktionsbetrieb.“
Aber weit gefehlt. Die Bäume, die den Schriftzug an der Betonwand fast verdecken, entpuppen sich als Kastanien, die einen kleinen Biergarten beschatten. Jetzt, im Oktober, hängen sie voll reifer Früchte, und zu beschatten gibt es leider nichts, stattdessen schützen sie uns ein wenig vor dem Nieselregen.
Wir gehen durch das Biergärtchen, durch die unscheinbare Eingangstür und stehen unvermittelt in einer klassischen Prager Bierhalle. Ein riesiger Saal. Dunkles Holz, einfache und robuste Tische, am Stirnende eine große Theke. Auf quadratischen, ebenfalls mit dunklem Holz verkleideten Säulen aufgeständert eine zweite Ebene, oben kann man auch sitzen und in den großen Saal schauen.
Und auf das Sudwerk. Das steht nämlich am anderen Stirnende. Zwei knubbelig runde Kupfergeräte hinter einer halbhohen, verfliesten Mauer. Schön sieht das Sudwerk aus, sehr einladend.
Nein, eigentlich muss es heißen, schön sehen sie aus, die Sudwerke. Es sind nämlich zwei. Hinter dem großen Sudwerk steht nämlich noch ein zweites, ein hübsches Mini-Sudwerk, gerade groß genug für einen Hobbybrauer, um den Bedarf der Familie zu decken. Hier dient es vielleicht dazu, Probesude zu machen und neue Rezepturen auszuprobieren. Oder einfach nur als Spielzeug für den Brauer.
Die Bierauswahl ist überraschend groß. Sechs verschiedene Biere stehen zur Auswahl. Seufzend überlege ich: Es ist Mittagszeit, und ich habe am Abend noch einen Termin. Zwei winzig kleine Gläschen sind nur drin, gerade mal zwei von sechs Bieren werde ich probieren können. Es ist aber auch zu schade…
Wir setzen uns an einen der simplen, klotzigen Tische. Ein kleines Festbier mit 13° darf es sein, und ein alkoholfreies Weißbier für den Chauffeur. Die Bedienung bringt das Bier und die Speisekarte, und einen Moment später erscheint ihre Kollegin. „Suchen Sie sich aus, was Sie essen wollen, ich bringe schon mal die Gulaschsuppe.“
Wie? Was? Gulaschsuppe?
„Halt, Fräulein, das muss ein Missverständnis sein!“
„Nein, nein“, lacht sie und klärt uns auf: Es sei Mittagszeit, und jetzt kämen Geschäftsleute, Familien, Arbeiter, Patienten aus der Poliklinik und wollten alle nur eins, ein schnelles Mittagessen. Und insofern könne man jetzt nicht à la carte essen, sondern hätte nur die Möglichkeit, aus einem von drei Tagesgerichten zu wählen, und zu allen gehöre die Gulaschsuppe. Und die brächte sie jetzt.
Sprach’s und verschwand.
Sekunden später steht die Gulaschsuppe da, und wir haben uns mittlerweile für den Hauptgang entschieden. Einmal Rinderbraten mit Spinat und Kartoffelklößen, einmal mit Huhn gefüllte Quesadillas mit Salat.
Das Festbier dazu schmeckt sehr erdig, fast schon moosig. So richtig behagt es uns nicht. Keine Offenbarung. Und so probieren wir als zweites Bier etwas völlig anderes, ein Blond Ale, mit 11°. Das ist deutlich besser. Auch hier eine ganz leicht erdig-moosige Note, kommt vielleicht von der Hefe, aber hier passt sie gut zum eher hopfigen Charakter des Biers, vermag dessen Bittere gut auszubalancieren.
Zu gerne hätten wir die anderen vier Biere auch noch verkostet, und vielleicht auch noch das Řezane, also das aus dem zwölfgrädigen Hellen und dem vierzehngrädigen Dunklen verschnittene Biere. Aber nicht heute.
Wir sehen uns noch einmal um. Es ist ordentlicher Betrieb, die Menschen kommen und gehen, essen rasch, trinken ein großes Bier dazu und verschwinden wieder, zurück zur Arbeit. Manche nehmen eines der Tagesmenüs mit, trinken, während sie auf das Essen zum Mitnehmen warten, rasch ein Bier im Stehen. Eine angenehme Atmosphäre. Und vor allem eine, die wir so nicht erwartet hätten. Weder die Lage noch die äußere Anmutung hätten darauf schließen lassen, hier eine so schöne und typische Prager Bierhalle zu finden!
Die 2008 gegründete JihomÄ›stský Pivovar ist täglich ab 11:00 Uhr bis in die Nacht durchgehend geöffnet; sonnabends und sonntags erst ab 12:00 Uhr. Kein Ruhetag. Sie liegt zwar ziemlich weit draußen, ist aber trotzdem gut zu erreichen. Von der Autobahnabfahrt Chodov aus sind es gerade drei Minuten, und bevorzugt man die öffentlichen Verkehrsmittel, dann ist die Metrostation Háje der Linie C etwa 300 m entfernt.
Jihoměstský Pivovar
Podjavorinské 1602/11
149 00 Praha 4 Chodov
Tschechien