Bis gerade eben wusste ich überhaupt noch nicht, dass Prag überhaupt einen Yachthafen, eine Marina hat, und jetzt sitze ich im Stadtteil HoleÅ¡ovice und schaue ungläubig über die kleinen Schiffe und Boote. Sanft wiegen sie sich im Wasser des kleinen Hafens der Moldau, in warmen Farben angestrahlt von der Abendsonne. Idyllisch!
Die Straßenbahn hat mich hierhergebracht, durch hübsche und weniger hübsche Stadtteile bin ich gefahren, und schließlich waren es noch etwa 200 m Fußweg entlang alter Prager Bürgerhäuser. Und plötzlich lag sie vor mir, die Marina, und davor, in einem langgestreckten, schmucken Ziegelgebäude die gleichnamige Brauerei, die Pivovar Marina.
Es ist ein ehemaliges Zollhaus, das über mehrere Jahre hinweg entkernt und komplett renoviert wurde und nun seit 2013 die kleine Gasthausbrauerei beherbergt. Durch den Schmuckgiebel in der Mitte der Längsseite betrete ich das Gebäude, biege links ab und mache große Augen: Ein piekfeines Restaurant, die Tische sind weiß eingedeckt, mit edlen Weingläsern, Blumenschmuck und gut gekleideten Gästen. Moment mal, bin ich hier falsch? Aber da hat mich schon einer der Kellner entdeckt und spricht mich in fließendem Englisch an: Selbstverständlich könne ich hier Platz nehmen und gut italienisch speisen, dazu gerne auch das hiesige Bier trinken, aber vermutlich sei ich doch, wie die meisten Gäste, die so erstaunt schauen, eher auf der Suche nach dem Schankraum und dem Biergarten, und die seien nicht links-, sondern rechtsherum, bitteschön!
Aha, ich gehe also ein paar Schritte zurück und biege rechts statt links ab, und siehe da: Ich komme in einen großen, gemütlich-rustikalen Schankraum, laufe an einer langen Glasscheibe vorbei, hinter der sich die stählernen Gär- und Lagertanks befinden. Ein paar Schritte weiter das Sudwerk. Zwei mattglänzende Kupfergeräte mit einer Ausschlagmenge von 10 hl. Davor die Theke, und die große Tür zum Biergarten. Die Sonne scheint, es ist warm, und so zieht es mich natürlich raus in die Sonne. Insbesondere, da ich auch dem auf dem riesigen Flatscreen übertragenen Fußball entkommen will.
Draußen Stadtidylle. Grobe Holzmöblierung, bunte Blumen am Zaun, und in der einen Richtung der Blick auf neu errichtete, edle Wohnhäuser, in der anderen auf die Marina. Kleine Yachten und Boote mitten in Prag! Um mich herum ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Hier ein paar übermütig herumalbernde Jugendliche, dort eine Familie, ganz gutbürgerlich. Ein paar Geschäftsleute, ein Punk-Pärchen, einen Tisch weiter ein heftig knutschendes und ungeniert züngelndes lesbisches Pärchen, dahinter der in keiner tschechischen Kneipe, keiner Brauerei fehlende Rentner, der gemütlich vor seinem Bierglas sitzt und hier sein zweites Zuhause hat. Stoisch schaut er durch die beiden sich fast schon exhibitionistisch befingernden Damen hindurch, verzieht keine Miene. Außer, wenn er ab und an einen Schluck Bier nimmt, dann huscht für einen Augenblick ein zufriedenes Lächeln über das faltige Gesicht.
Die hübsche Kellnerin steht neben mir, beobachtet geduldig, wie ich die Menschen beobachte, aber irgendwann räuspert sie sich dezent. Ob ich denn nicht etwas bestellen wollen würde? Sie grinst mich an. Vier Biere habe man zur Auswahl, ein leichtes Helles mit zehn, ein normales Helles mit zwölf Grad, dazu ein Dunkles mit dreizehn Grad und ein elfgrädiges Weizen. Aber da sie auch ein feines italienisches Restaurant hätten, vielleicht hätte ich es beim Reinkommen ja gesehen, gebe es natürlich auch Rot- und Weißweine.
„Nein, nein, nur keinen Wein. Ich nehme das Zwölfer, ein großes Glas bitte!“, erwidere ich und bestelle mir dazu einen gegrillten HermelÃn, also einen Camembert. Das klassische tschechische Brauhausgericht. Preiswert und lecker.
Das dunkelgolden leuchtende Bier erweist sich als hervorragender Botschafter tschechischer Bierkultur. Ein solider, einfacher Glaskrug, eine feine Schaumkrone, ein ganz feiner, kaum spürbarer Duft nach Diacetyl, der die tschechischen Biere auszeichnet. Süffiger und würziger Antrunk, nicht zu stark gespundet, und auf der Zunge malzig mit feinen Hopfenaromen. Und ein sauberer Abgang, eine leichte Bittere nur, die zwar spürbar ist, schnell aber wieder abklingt.
So kann, so muss ein Bier schmecken, wenn man den ganzen Abend daran hängen bleiben möchte. Gemütlich ein Glas nach dem anderen leeren, die Zeit verstreichen lassen, das Leben genießen. Das Bier drängt sich nicht in den Vordergrund, will nicht bewusst verkostet werden. Möchte weder dominieren noch um Aufmerksamkeit buhlen, zupft nicht ständig symbolisch am Ärmel und ruft „Heh, ich bin auch noch da, ich will beachtet werden!“. Nein, es ist da, wenn man es braucht, wenn man einen großen Zug nehmen möchte, und es bleibt dezent im Hintergrund, wenn man mit den Gedanken woanders ist. Sollte das Glas einmal leer sein, wechselt es die nette Kellnerin dezent gegen ein volles, und man kann sich völlig entspannt fallen lassen, sinnieren, genießen. Beste tschechische Bierkultur.
Natürlich lasse ich es mir trotzdem nicht nehmen, wenigstens auch das Dunkle noch zu probieren. Kräftig braun, malzig, süßlich, mit nur ganz leichten Röstaromen. Ebenfalls ein sehr schönes und süffiges Bier.
Ich sitze und sitze, sehe zu, wie die Sonne untergeht und es langsam dunkel wird. Leise plätschern die Wellen im kleinen Hafen, ein paar Vögel sausen im Tiefflug durch den Biergarten, und langsam wird es ruhig. Der Biergarten leert sich, es wird kühl, die meisten Gäste verziehen sich nach drinnen, und ich mache mich langsam wieder auf den Weg zur Straßenbahn. Bestens erholt, entspannt nach einem anstrengenden Tag, wohlig müde vom leckeren Bier.
Die 2013 eröffnete Pivovar Marina ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend bis Mitternacht geöffnet; kein Ruhetag. Sie bietet feinste italienische Küche im linken, rustikale tschechische Brauhauskost im rechten Gebäudeflügel, und einen kleinen Biergarten. Zu erreichen ist sie am besten mit der Straßenbahn, Haltestelle Maniny, Linien 1, 12, 24 und 25; von dort aus 200 m zu Fuß. Oder man kommt standesgemäß mit der eigenen Yacht…
Pivovar Marina
Jankovcova 12
170 00 Praha
Tschechien