Die Grachten in Utrecht sind nichts anderes als Teile des Rheins, die mitten durch die Stadt geleitet wurden und ihr so eine große Bedeutung als Handelsstadt verschafften. Von hier konnten Exportgüter in Richtung Nordsee wie auch rheinaufwärts nach Frankreich und in die deutschen Fürstentümer verschifft werden. Und so war es auch vollkommen selbstverständlich, dass hier, entlang der Grachten, die eine oder andere Brauerei entstand rund dreißig Stück zählte Utrecht in der Blütezeit seines Brauereiwesens im Mittelalter.
Heute sieht die Situation leider ganz anders aus. 1930 waren die letzten übriggebliebenen Brauereien ebenfalls verschwunden, mussten schließen, und nur noch vereinzelt weist ein Häusername oder ein Wappen an einem Häusergiebel auf eine ehemalige Brauerei hin.
Erst 1990 sollte sich das wieder ändern, als das ehrwürdige alte Gebäude des Stadskasteel Oudaen an der Oudegracht, also die städtische Burg an der alten Gracht, in einen Restaurantbetrieb umgewandelt und in ihrem Keller eine Brauerei installiert wurde.
Das Stadskasteel Oudaen ist heute, im Jahr 2016, ein sehr schön eingerichtetes Restaurant. Der große Saal auf zwei Ebenen beeindruckt mit großen Gemälden und schöner Illumination. Die hohe Decke, die kronleuchtergleichen Lampen, die schmalen und hohen Fenster vermitteln das Gefühl, in einem alten Rittersaal zu sitzen und zu speisen. Vielleicht war es das sogar einst einmal ein Rittersaal.
Typisch für die Niederlande ist die Atmosphäre trotzdem entspannt und nicht überkandidelt. Studenten und Geschäftsleute, alte Omis und junge Damen sitzen bunt gemischt an den Tischen und genießen das leckere Essen und natürlich das hier vor Ort gebraute Bier.
Mit fünf regulär gebrauten Bieren kann die Brauerei Oudaen aufwarten, dazu kommen ein bis zwei Saisonbiere. Und während ich noch ein wenig unentschlossen mit dem Finger die Bierkarte auf- und abfahre, kommt die freundliche Kellnerin und bietet mir an, doch das eine oder andere Bier in einem winzigen Schluck zu verkosten, um mir die Entscheidung leichter zu machen. Sprach’s, und Sekunden später stehen zwei kleine Gläschen mit dem Ouwe Daen Weizenbier und dem Linteloo Gold Pilsener vor mir.
Das Weizen im Stil eines belgischen Wit, also mit Koriander und Orangenschalen gewürzt, ist zwar lecker, aber ich entscheide mich dennoch für das Pilsener, wenn es auch sehr zurückhaltend gehopft ist und eher einem süßlichen bayerischen Hellen entspricht.
Mein Essen, ein Nudelgericht, ist originell gewürzt. Kastanien, Nüsse, winzige Paprikaschoten machen aus einfachen Nudeln eine ganz individuelle Speise. Mir gefällt’s.
Was mir weniger gefällt, ist, dass die nette Kellnerin mir erzählt, dass die Brauerei nicht zu besichtigen sei. Noch nicht einmal durch irgendwelche Fenster könne man sie sehen. Dies ginge leider nur im Rahmen einer Gruppe, die sich dann auch lange vorher anmelden müsse. Und, schlimmer noch: Es ist nicht vorgesehen, dass man sich als Einzelperson einer anderen Gruppe anschließen könne („Helaas is het niet mogelijk om met aan te sluiten bij een ander gezelschap.“). Scheinbar ist diese Möglichkeit in der Vergangenheit von irgendwelchen Freibiergesichtern missbraucht worden.
Sehr schade, und so bleibt es für heute beim zugegebenermaßen aber sehr schönen Speisesaal.
Ich verkoste noch ein paar weitere Biere. Das India Pale Ale beispielsweise gefällt mir sehr gut, weiß mit feinen, aber nicht zu dominierenden Zitrusnoten und einer soliden, nicht übertriebenen Bittere zu überzeugen. Der Lentebok, also Frühlingsbock, überrascht mit einer spritzigen Frische, die über seine alkoholische Kraft hinwegtäuscht. Weizen und Roggen sind in ihm mit verbraut und unterstreichen den frischen Charakter noch ein wenig.
Und zum Abschluss schließlich noch ein Tripel. Behäbig und alkoholisch-schwer ist es ein schöner Abschluss für das gute Essen. Ein bisschen Frische durch Weizen und Koriander machen es gut trinkbar, nicht so ölig und übermäßig fordernd, wie manche andere Tripel.
Was die Biere und das Essen anbelangt, die Freundlichkeit des Service und die Atmosphäre, bin ich zufrieden. Ein schöner Abend. Und dennoch: Ein Brauereibesuch, ohne wenigsten aus der Ferne einen Blick auf die Braukessel geworfen zu haben, ist doch nur die halbe Freude.
Das Proeflokaal, wie sich der große Rittersaal nennt, ist täglich ab 09:00 Uhr durchgehend bis tief in die Nacht geöffnet; bei gutem Wetter kann man auch draußen direkt an der Gracht sitzen. Zu erreichen ist das Stadskasteel Oudaen problemlos mit dem Bus fast alle Buslinien halten an der Bushaltestelle Neude, gerade einmal 80 m nördlich der Brauerei.
Stadskasteel Oudaen
Oudegracht 99
3511 AE Utrecht
Niederlande