Es regnet in Strömen. Lustlos schlappe ich vom Parkplatz in Richtung Witzenhausener Altstadt. Wie schön hatte ich mir das vorgestellt. Eine lange Autobahnetappe, einmal die A7 längs. Vom Süden bis in den hohen Norden Deutschlands. Und dann einen netten Zwischenstopp in Witzenhausen. Ein gemütlicher Spaziergang durch die hübsche, kleine Fachwerkaltstadt, die pittoresken Fassaden in den engen Gässchen bewundern, und anschließend eine Einkehr in Schinkels Back- und Brauhaus.
So hätte es sein sollen.
Und jetzt?
Strömender Regen!
Ich verzichte auf den kulturellen Anteil meines Zwischenstopps, setze die Witzenhausener Altstadt auf die Liste der Dinge, die ich irgendwann man in einem anderen Leben noch erledigen möchte, und kehre direkt im Schinkel ein. Mittagszeit.
Das eigentliche Brauhaus steht in der Walburger Straße, etwa 500 m außerhalb der Altstadt, im Anbau eines kleinen Häuschens. Große Schaufenster geben den Blick frei auf die kupfernen, polierten Kessel eines Kaspar-Schulz-Sudwerks. Zwar in gewisser Weise „von der Stange“, aber doch immer wieder schön anzusehen. Solide und edel, beste Brautechnik. Robust und nicht billig. Niemand ist zu sehen, es ist Sonnabend, Wochenende, niemand arbeitet. Natürlich nicht. Nur Euer Chronist ist wieder mal auf Achse, von der letzten beruflichen Tätigkeit unterwegs zur nächsten.
Ich mache ein paar Bilder durch die zum Glück sauberen! Scheiben, und dann geht es durch den Regen weiter, jetzt aber wirklich in Richtung Altstadt.
Und da ist er auch schon, der Ausschank von Schinkels Back- und Brauhaus. Zwischen einem Hotel und einem, wenn ich es richtig sehe, Wohnstift; ein wenig eingezwängt und auch ein bisschen improvisiert wirkend. Eher Gartenlaubenatmosphäre. Ganz anders als das edle Sudwerk eben. Ein einfach, aber nicht unsympathisch möblierter Biergarten, der jetzt, im Regenschauergrau, natürlich trist wirkt. An einem der Tische ein Fassdeckel mit drei darin installierten Zapfhähnen. Es sieht aus, als könne man sich hier bei gutem Wetter direkt am Tisch mit drei verschiedenen Biersorten bedienen. Die Leitungen angeklemmt, Druck auf die KEGs, und auf geht’s. Lasst das Bier strömen!
Ehe mir die Klamotten aber ganz durchweichen und der Fotoapparat in der Nässe den Geist aufgibt, verziehe ich mich schnell nach drinnen. Links der Raucherbereich. Man hört Würfelbecher knallen, laute Stimmen, hier geht es mittags schon zur Sache. Rechter Hand eine Laube mit Sitzgelegenheiten, dahinter ein einfacher Raum, trocken und warm. Ein einfacher Holzanbau, wie es scheint.
Die Bierliste liegt auf dem Tisch, ein Klemmbrett mit ein paar DIN-A-4-Seiten. Daneben die gleichen Biere noch einmal in einer bunt gedruckten Bierfibel. Ich bin überrascht, wie groß das Angebot ist. Sieben Biersorten zähle ich. Neben Bio-Pilsener, Bio-Weizen und Dunkel (nicht bio), also dem klassischen Brauhaus-Triplett, gibt es noch Bio-Bockbier, Brown Ale, Indian Pale Ale (mit einem „n“ zu viel) und Kirschbier (jenseits des Reinheitsgebots!). Dazu deftige und preiswerte Speisen.
Ich schiele auf den Nachbartisch und sehe gewaltige Portionen. Riesenmengen Fleisch und dicke Sahnesoßen; die Gäste ächzen und schwitzen, schaufeln und stopfen, haben sichtlich Spaß, sich zu mästen.
Ich habe noch einige Kilometer vor mir und will meinen Magen nicht bis zum Geht-nicht-mehr vollstopfen, bestelle lediglich mit Käse überbackenen Spinat und ein India(n) Pale Ale. Zu meiner Ãœberraschung wird das Bier in der Flasche serviert. Die speziellen Sorten habe man nicht im Fass, das lohne sich nicht, erklärt die Kellnerin.
Das Essen kommt. Ein gusseisernes Pfännchen, mit einem Berg Spinat, darüber eine zwei Daumen dicke Schicht Käse. Ausreichend Kalorien für eine komplette Arbeitswoche. Lecker, aber viel zu viel. Schweren Herzens lasse ich die Hälfte stehen.
Das Bier eine ordentliche Interpretation des Bierstils. Schön hopfig, aber nicht übertrieben, auch im Alkohol mit 5,5% nicht zu stark. Trotzdem, ich trinke das kleine 0,33-l-Fläschchen nicht ganz aus, ich muss noch fahren. Sicher ist sicher. Aber das Etikett lese ich ganz und amüsiere mich. Nicht nur, dass es Indian Pale Ale heißt, statt India, nein, es gibt auch eine neue Geschichte über seine Herstellung: „Um die langen Seefahrten zu bestehen, wurde das Bier, ein Pale Ale, mit hoher Stammwürze und unter starker Zugabe von Hopfen direkt im Lagergefäß gebraut.“
„Direkt im Lagergefäß gebraut“? Das habe ich so noch nie gehört und versuche, mir vorzustellen, wie das gegangen sein soll. Aber dann dämmert es mir. Vieldeutigkeit der deutschen Sprache. Eine etwas holprige Satzstellung, ein falscher Dativ, es soll natürlich heißen „unter starker Zugabe von Hopfen direkt in das Lagergefäß“. Der Dativ war in diesem Falle dem Akkusativ sein Feind. Das Weltbild ist wieder geradegerückt und der Herstellungsprozess des India Pale Ale auch wieder unter Kontrolle.
Bleibt noch das rätselhafte Mindesthaltbarkeitsdatum. 316.2016 steht dort kryptisch. Ist wirklich der 31. Juni 2016 gemeint? Und wann soll dieser Tag sein? Ein virtueller Tag, zwischen 30. Juni und 1. Juli? Ach, ich mag nicht grübeln, und ich mag auch nicht lästern. Essen und Bier waren preiswert und gut. Keine Sterneküche und auch kein Bier, dass die Craftbier-Revolution ganz alleine lostreten hätte können, aber trotzdem lecker.
Zufrieden zahle ich und gehe. Hinaus in den Regen, zurück zum Parkplatz. Die schöne Fachwerkaltstadt kann warten. Auf ein nächstes Mal. Irgendwann.
Der Ausschank von Schinkels Back- und Brauhaus ist täglich ab 17:00 Uhr durchgehend geöffnet, sonntags bereits ab 11:00 Uhr. Freitags und sonnabends öffnet man zusätzlich von 11:00 bis 14:00 Uhr, und auf Anfrage für Gruppen oder Veranstaltungen auch montags bis donnerstags von 11:00 bis 14:00 Uhr. Zu erreichen ist der Ausschank problemlos, direkt am Rand der Altstadt; parken etwa 100 m entfernt. Bis zum Bahnhof Witzenhausen auf der anderen Seite der Werra ist es etwa eine Viertelstunde zu Fuß.
Schinkels Back- und Brauhaus
Oberburgstraße 10
37 312 Witzenhausen
Hessen
Deutschland