Eine gewaltige Baustelle. Es wird geschraubt, gehämmert, geflucht, gesägt und gebohrt. Lärm und Staub überall. Ein großes Durcheinander, wie auf jeder großen Baustelle. Es herrscht Zeitdruck, Stress, Hektik.
Und mittendrin steht ein wunderschönes, auf Hochglanz poliertes, kupfernes Sudwerk. An den Rohren und Ventilen steht ein Mann und…
…braut!
In aller Seelenruhe, wie ein Fels in der Brandung steht er da, lässt sich nicht beirren, pfeift auf Unruhe, Dreck und Lärm und braut!
„Seit einigen Wochen geht das nun schon so“, erzählt MichaÅ‚ Grossmann, der Brauer mit den stählernen Nerven. „Normalerweise ist das hier in Polen so, dass alles fertig ist, der Restaurantbetrieb schon begonnen hat und wir immer noch auf die Papiere mit der Braugenehmigung warten. Aber hier war es andersrum. Kaspar Schulz hat die Anlage geliefert, installiert, wir haben die Papiere ruckzuck bekommen, und dann kam es bei der Renovierung des alten, denkmalgeschützten Gebäudes zu Verzögerungen. Tja, und seitdem braue ich auf einer Baustelle. Die Lagertanks sind voll, das Bier wird unten im Keller im Rocker Club schon ausgeschenkt und in Ein-Liter-Flaschen verkauft!“
„Komm‘, ich zeig‘ Dir alles, und wir probieren mal die wohl bestgelagerten Biere der Stadt!“, zog er mich zum Sudwerk der Nowy Browar.
10 hl werden hier pro Sud gebraut. Eine vollautomatische Brauereisteuerung, kein einziges Ventil muss MichaÅ‚ noch von Hand bedienen. Und trotzdem noch ein schönes, unmittelbares Brauerlebnis, denn durch die gläsernen Deckel der beiden Geräte kann man in die Maische beziehungsweise die Würze hineinschauen. „Und hier…“, er schob mich auf die andere Seite der Brauerei, „…der ganz besondere Gag für unsere Gäste: Ein in die Außenwand eingelassenes, längliches Fenster, so dass man auch aus der Gaststube in die Maische hineinkucken kann.“
„Sogar mit Innenbeleuchtung!“, fügte er noch stolz hinzu und schaltet die Lampe an.
„Aber genug jetzt, trockene Braukessel sind langweilig. Komm‘ mit zu den Lagertanks, wir zwickeln uns jetzt mal einen!“
Eine für eine Gasthausbrauerei wahrhaftig beeindruckende Reihe von 20 hl Tanks steht vor mir. Pils, Lager, Weizen, Dunkles und Bockbier reifen hier in Ruhe vor sich hin. Der Reihe nach verkosten wir die Biere. Das Pils, schön aromatisch, mit feiner Hopfennase, sehr rein im Geschmack. Man merkt, dass noch kein Verkaufsdruck herrscht. Das Bier ist gut gelagert, lange und kalt. Ein guter Start.
Das Lager, weniger hopfig, weicher, süffiger. Sehr rund. Ein Bier für den großen Schluck!
Das Weizen feine, aber nicht zu dominierende Bananennoten, schöne, hohe Rezens. Ein erfrischendes Sommerbier. Wenn denn der Sommer mal kommt.
Das Dunkle. Nicht so meins. Für mich persönlich zu sehr dominierende Malznoten ich mag diese melanoidinigen Anteile nicht so sehr. Aber objektiv gesehen, trotzdem ein gelungenes Bier.
Und schließlich der dunkle Bock. Süffig, vollmundig. Mit kremigem Schaum, einem vollen Aroma. Herrlich! Das beste Bier von allen fünfen. Und trotzdem vielleicht das einzige, mit dem es Schwierigkeiten geben könnte. 2000 l Bockbier warten hier im Tank auf die Eröffnung der Restauration. Und bis es endlich so weit ist, ist es vielleicht schon Frühling. Hier in Stettin geht das blitzschnell. Die Temperaturen steigen, der Schweiß fließt, und der Durst auf einen kräftigen, labenden und wärmenden Bock ist vorbei. Die Starkbierzeit bis dahin auch schon.
Es wäre schade um dieses ausgezeichnete Bier.
Gedanklich drücke ich die Daumen, dass es bald ausgeschenkt werden kann. Hier oben im polnischen Norden ein so wunderbares Bockbier zu bekommen, das ist eine Rarität!
MichaÅ‚ führt mich noch durch die anderen Räume, zeigt mir den Innenhof. Dreieinhalb Stockwerke über mir das Glasdach dieses Patios. Drei Bars mit jeweils sechs Zapfhähnen. Große Räume mit Blick auf die Straße. Eine offene Küche, in der man den Köchen auf die Finger schauen und seinem Essen beim Werden zusehen kann. Ein gemütlicher Gewölbekeller, der zu einem Bierkeller ausgebaut wird.
Ein großes Projekt, eine gewaltige Investition. Wirklich eine riesige Gasthausbrauerei.
Und mit einem erfahrenen Brauer. Nach einigen Jahren in GdaÅ„sk / Danzig und Gliwice / Gleiwitz, in denen sich MichaÅ‚ zahlreiche Urkunden und Preise erbraut hat, zeichnet er jetzt für die Biere der Nowy Browar verantwortlich. Fünf ganz ausgezeichnete Biere warten in den Tanks auf die Eröffnung.
Und sehnsüchtig warten auch die Stettiner Bier-Aficionados.
Nachtrag 18. März 2016: Ein Jahr ist seit unserem Besuch auf der Baustelle vergangen. Die Nowy Browar Szczecin hat mittlerweile eröffnet und sich mit gewaltigem Erfolg etabliert. Jeden Tag sind die Hallen und Räume proppevoll zahllose Touristen aus Deutschland und Skandinavien, aber auch sehr viele Einheimische.
Das Essen ist deftig, klassische Brauhausküche. Solide Grundlage für kräftigen Konsum des preiswerten, ordentlichen, aber wenig innovativen Biers. Brauer MichaÅ‚ Grossmann braut gut und in konstanter Qualität, darf sich aber nicht so experimentell austoben, wie er es gerne hätte. Und so umfasst das Angebot lediglich ein Pilsner (hell, ordentliche Trübe, feine und saubere Hopfung), ein Jasny Lager (im Stil eines Pale Ales, also überraschen dunkel für ein „jasny“, aber süffig und gut trinkbar), ein Ciemny Lager (würziges Braunbier) und ein Pszeniczne (Weizen, erfrischend, aber nicht so sämig-vollmundig wie viele bayerische Hefeweizen, sondern spritzig und leicht).
Damit sind aufgrund des gewaltigen (so vielleicht doch nicht ganz vorhergesehenen) Umsatzes die Lagerkapazitäten erschöpft und es werden Biere aus Franken hinzugekauft, um sie hier anbieten zu können so beispielsweise ein Weizenbock und der Räucherator Rauchbock aus der Brauerei Hummel in Merkendorf. Leckere Biere, ungewöhnlich für den polnischen Markt, und eine tolle Ergänzung zum doch eher einfallslosen Standard-Portfolio der Brauerei.
Wer preiswertes, gut durchtrinkbares Bier, deftige Brauhausküche und bayerische Bierhallenatmosphäre schätzt, ist mit der Nowy Browar Szczecin gut bedient.
Die Nowy Browar Szczecin ist täglich von 09:00 Uhr bis mindestens Mitternacht durchgehend geöffnet; sonnabends und sonntags erst ab 11:00 Uhr. Kein Ruhetag. Sie liegt nur zwei Minuten vom Platz Brama Portowa entfernt, an dem sich nahezu alle Straßenbahn- und Buslinien der Stadt kreuzen; und für Gäste von außerhalb Stettins sind es vom Hauptbahnhof gerade einmal fünf Minuten. Hervorragend an die öffentlichen Verkehrsmittel angebunden, also.
Nowy Browar Szczecin
ulica Partyzantów 2
70-222 Szczecin
Polen