Vegetarier und Veganer mögen mich jetzt als Ãœberbringer dieser Nachricht steinigen, in dampfendem Pferdemist ersticken und meinen Leichnam anschließend vierteilen, bevorzugt mithilfe gewaltiger Braurosse, aber die Wahrheit ist immer noch, dass es in den meisten tschechischen Lokalen, und insbesondere in Brauereien und Brauereirestaurants als Beleidigung des Gastes gilt, ihm Gemüse oder Salat zu servieren. Allerhöchstens als Dekoration werden diese Zutaten geduldet, oder vielleicht ab und an mal auf einem kleinen Tellerchen, das neben einem kleinen Glas stillen Mineralwassers weitestgehend unberührt vor einer stark geschminkten, bestöckelschuhten Dame undefinierbaren Alters im knappen Tank-Top stehen bleibt, während der dazugehörige, bierbäuchige und schlecht rasierte Begleiter in Trainingshose, Adiletten und das Muskelshirt ersetzendem Doppelripp-Unterhemd seine Schweinshaxe mit tschechischen Knödeln und einem halben Dutzend großen Dvanáctkas, zwölfgrädigen Bieren, vertilgt.
Vorurteile, gewiss, aber erstens ist an solchen Zerrbildern immer ein klitzekleiner wahrer Kern, und zweitens sind das genau die Gedanken, die mir inkorrekter Weise am heutigen Abend durch den Kopf schießen, als ich in der kleinen Gasthausbrauerei Minipivovar Krajinská 27 in Budweis sitze und auf den großen, gläsernen Kühl-Schrank schaue, in dem Berge von frischem Fleisch bereitgehalten werden und nur darauf warten, nach Bestellung frisch in die Pfanne oder auf den Grill gelegt zu werden.
Dabei wird man dieser kleinen Brauerei gar nicht richtig gerecht, wenn man nur in den althergebrachten Kategorien denkt. Schließlich ist sie doch gerade erst vor einem Jahr sehr ordentlich hergerichtet und eröffnet worden, und neben dem frisch vor Ort gebrauten Bier legt man sehr viel Wert auf eine gute und schmackhafte Küche. Na klar, fleischbetont, wir sind ja in Tschechien, aber eben bei weitem nicht so ausschließlich, wie die Vorurteile sagen, und auch wesentlich stilvoller. Das Doppelripp- wie auch das Feinripp-Unterhemd wären hier definitiv fehl am Platz.
Ich löse meinen Blick von den Fleischbergen und sehe mich kurz im Schankraum um. Den Innenhof des Gebäudes mit der Hausnummer 27, von der ja der Name stammt, hat man gläsern überdacht und in ein schönes, stilvolles Restaurant verwandelt. Die Speisekarte bietet eine schöne Auswahl an leckeren Gerichten, das Fleisch wird nicht mehr nur gedankenlos auf den Grill geworfen, sondern mit Kräutern raffiniert gewürzt, sorgfältig zubereitet, mit Gemüse und Salat kombiniert oder gar durch diese auch einmal ersetzt. Lecker schaut es aus, die Bedienungen, die mir die Teller bringen, sind freundlich, und es herrscht Wohlfühlatmosphäre.
Eine Handvoll Biere gibt es zu Auswahl. Natürlich ein ganz normales Dvanáctka, ein Helles mit 12° Stammwürze, und daneben ein elfgrädiges, Jantar genanntes, bernsteinfarbenes Bier. Aber schon die dritte Biersorte überrascht: Raketa, ein India Pale Ale. Frisch und herb, an fruchtigem Hopfen wurde beim Brauen nicht gespart. Ein feines Bier, passend gerne auch zu den verschwenderisch mit Salbei oder Majoran gewürzten Speisen. Sehr schön.
Und zum Nachtisch? Oder anstatt? Da bietet die Speisekarte das Bier „27“. Ein schweres, sehr malzig-süßes und kräftig-alkoholisches Bier. Das ist ja mal eine Hausnummer, höre ich meine innere Stimme sagen, und in der Tat, es ist die Hausnummer, die als Vorgabe für die Stammwürze dieses Biers herhalten musste. 27% Stammwürze, 11,5% Alkohol nicht ohne Grund wird dieses Bier nur in der kleinen 0,33-l-Flasche abgefüllt und in einem schmalen Sektglas zur Verkostung serviert. Wie ein Likör wirkt es, ein wenig zähflüssig und klebrig, an diesem feuchtkühlen Herbstabend auch schön wärmend und als Verdauungsdrink ganz ausgezeichnet. Gerne auch zum süßen Dessert.
Gut, denke ich mir, dass nicht jeder Brauer verpflichtet ist, ein Bier mit dem Stammwürzegehalt gemäß seiner Hausnummer zu brauen. Ich selbst käme jedenfalls ganz schön in Schwierigkeiten, denn selbst wenn man meine alte, nach Grundstückskataster vergebene Hausnummer 760 als irreal abtun würde, denn 760% Stammwürze gehen ja rein physikalisch gar nicht, auch meine neue Hausnummer, die 49, würde brautechnisch nicht viel Sinn machen. Eine zähflüssige, melassenartige Masse müsste dabei herauskommen, die es zu vergären gelte. Dickflüssig wie das Danziger Jopenbier, und wie dieses gar nicht zum Trinken gedacht und geeignet, sondern eher als nahrhafte Würze für Biersuppen oder ähnliches…
Aber ach, ich schweife ab, wo war ich gerade gewesen? Beim Dessert?
Genau, beim likörartigen Dessertbier, das mir den heutigen Abend so schön abschließt. Ganz lecker war es hier. Schöne, sauber gebraute Biere, eine gute Küche, nettes Personal und ein schönes Ambiente.
Auf dem Weg zurück auf die Straße komme ich an den Fenstern vorbei, hinter denen die kleine Brauerei steht. Schlichte und einfache Kupfergeräte, ein paar stählerne Gärbottiche. Offene Gärung, wie man sieht. Beziehungsweise gerade nicht sieht, denn sie sind leer. Blitzblank, aber leer. Höchste Zeit, dass mal wieder gebraut wird, vermutlich.
Ich drehe noch eine Runde um den Budweiser Marktplatz, einen der größten Marktplätze Europas, auf dessen Mitte gerade der Weihnachtsmarkt aufgebaut wird, bevor ich langsam zurück zum Hotel spaziere. Der Kopf wird nach dem Dessertbier wieder klar, und ich freue mich, dass auch hier in Budweis, in der Stadt, deren Bierszene doch so sehr von der großen Bierfabrik am Nordrand der Innenstadt dominiert wird, eine kleine und gute Minibrauerei entstanden ist.
Die Minipivovar Krajinská 27 ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Sie liegt nur wenige Schritte nördlich des berühmten Budweiser Marktplatzes noch innerhalb der Fußgängerzone und ist mit den Stadtbussen daher bequem zu erreichen.
Minipivovar Krajinská 27
Krajinska 27
370 01 České Budějovice
Tschechien