Was vor zwei Jahren noch eine bescheidene, fast schon peinlich winzige Ecke in den riesigen Posener Messehallen war, in der sich eine Handvoll Bierbegeisterter um genauso viele Bierstände scharte und verschämt in die kahle Halle schauend ihr Bier verkostete, ist im Jahr 2015 zu einem bemerkenswerten Bierfestival herangewachsen.
Einige Faktoren mögen dafür verantwortlich sein. Zum einen wogt die Erfolgswelle der Craftbier-Revolution ungebrochen über Polen hinweg. Jedes Jahr kommen neue Bierfestivals hinzu, jeden Monat neue Veranstaltungen, jede Woche eröffnet irgendwo im Land eine neue Brauerei oder beginnt ein neuer Gipsy-Brewer mit dem Bierbrauen. Immer mehr Menschen entdecken die Welt jenseits der ununterscheidbaren Massenprodukte Å»ywiec, Tyskie und Lech, staunen darüber, wieviel Geschmack und Aroma sich in ein einziges Bierglas pressen lassen, und sind mittlerweile auch bereit, einen geringfügig höheren Obulus für ihr Bier zu errichten, als es der Supermarktpreis vorsieht.
Zum anderen aber ist durch den Wegfall des bisher größten Bier- und Hausbraufestivals in Å»ywiec, das über mehr als zehn Jahre hinweg den zentralen Ankerpunkt der Bierszene in Polen gebildet hatte, ein gewisses Vakuum entstanden, das es zu füllen gilt.
Da kamen die PoznaÅ„skie Targi Piwne 2015, also die Posener Biermesse vom 20. bis zum 22. November gerade recht. Professionell organisiert in einer nahezu perfekten Infrastruktur und kombiniert mit einem Craftbier-Wettbewerb, zu dem die polnischen Kleinbrauereien in insgesamt zwölf Kategorien ihre Biere einreichen und von einer renommierten internationalen Jury bewerten lassen konnten.
Es begann bereits mit dem reibungslos und effizient organisierten Kartenverkauf. Blitzschnell die Kreditkarte über den Leser gezogen, und bereits nach 15 Sekunden hatte man die Eintrittskarte in der Hand. Balkencode aufs Drehkreuz, und hinein ging es in die Halle. Oh, da könnte die Braukunst Live in München sich nicht nur eine Scheibe davon abschneiden fünfundvierzig Minuten Wartezeit gegenüber zwei Minuten, da sieht Deutschland in diesem Falle alt aus…
Die Messehalle ist zwar riesig, aber die schiere Anzahl der Brauerei- und Bierhändlerstände füllte sie bis in den letzten Winkel. Zentral ein Stand eines Brauanlagenherstellers (PSS), rundherum Bierbänke und Tische, und am Rand und wie große Inseln in der Mitte die Bierstände. Am frühen Abend war die Halle rappelvoll. Eine gute Belüftungsanlage sorgte für angenehme Luft, zu keinem Moment war es heiß oder stickig, und wer vom Stimmengewirr zwischendurch mal zu viel hatte und einen kleinen Moment Ruhe brauchte, fand diese oben auf den Balustraden. Hier konnte man sich einen Moment hinsetzen, abschalten oder ganz einfach das bunte Treiben von oben betrachten.
Gutes Bier braucht gutes Essen, und so waren im Innenhof des Messegeländes ein halbes Dutzend Street-Food-Trucks aufgefahren, davor ein kleines, offenes Festzelt mit Heizpilzen, und so konnte man sich vor, nach, zum oder zur Not auch anstatt des Bieres dem guten und deftigen Essen widmen.
Die Preise waren überall moderat, und zwar sowohl für das Bier als auch für das Essen. Und die Eintrittskarte war mit 10,- PLN, etwa 2,50 EUR, auch absolut erschwinglich.
Perfekte Bedingungen also?
Fast. Die Lautsprecheranlage an der Bühne in der Ecke der Halle, auf der den Tag über Vorträge gehalten wurden und Livemusik spielte und am Abend die Siegerehrung des Craftbierwettbewerbs stattfand, war überfordert. Direkt vor der Bühne konnte man verstehen, was gesprochen oder gespielt wurde, aber schon wenige Schritte weiter vermengte sich alles zu einem undefinierbaren Geräusch. Hier ist definitiv noch Verbesserungspotential.
Das Bierangebot? Extrem gut. Zu 90% polnische Brauer und Brauereien. Ein Belgier war da (Paljas), ein Stand mit deutschen oder vielmehr bayerischen Bieren; an den Ständen der Spezial-Bier-Händler gab es Bier aus aller Welt. Ansonsten herrschte polnisches Lokalkolorit vor. Angefangen von zwei eher auf Kommerz ausgerichteten Regionalbrauereien über viele, viele im Laufe der letzten drei Jahre gegründeten Kleinstbrauereien bis hin zum wiederentstandenen und seit wenigen Wochen erst wieder erhältlichen Piwo Grodziskie, dem Grätzer Bier. Der berühmte polnische Bierstil ein leichtes Rauchweizen, das 1995 mit der Schließung der Browary Grodziskie komplett vom Markt verschwunden war, zwischendurch mal schlecht, mal recht kopiert wurde, und seit Sommer dieses Jahres wieder vor Ort in Grodzisk in der frisch renovierten und neu eröffneten Brauerei gebraut wird.
Eine rundum gelungene Veranstaltung; und der Blick in die Runde zeigte, dass keiner der wichtigen Player polenweit heute fehlte. Egal, ob professioneller Verkoster, Bierblogger, Brauer, Händler oder graue Eminenz im Hintergrund alle waren sie vertreten, und so boten die PoznaÅ„skie Targi Piwne in diesem Jahr ein ausgezeichnetes Forum zum Knüpfen von neuen Kontakten, für Präsentationen von neuen und interessanten Bieren und Konzepten und natürlich den Rahmen für ein Familientreffen der Craftbierszene.
Fazit: Wer nicht da war, hat etwas verpasst!